Eine Masche ist noch kein Netz 

ein Fisch noch kein Schwarm

ein Haar kein Fell

ein Halm keine Wiese

ein Ast kein Baum

ein Baum kein Wald

ein Tropfen kein Regen

eine Welle kein Meer

ein Sandkorn keine Wüste

ein Stein kein Haus

ein Ziegel kein Dach

und eine Wolke noch kein Himmel.

 

Was hat diese meine Poesie mit meinen Bildern zu tun?

Mein Thema ist die Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen.

Ich will die Bedeutung des Einzelnen in keinster Weise schmälern.

Eine Schneeflocke ist zwar kein Schnee, als isoliertes Ding wird sie zwar niemals an die Qualität von Schnee heranreichen, an seinen Geruch, an die Farbe ( die Inuit kennen über 30 verschiedene Wörter für seine Farbe ), an seine physikalischen Eigenschaften bis hin zu seiner zerstörerischen Kraft. Aber wie filigran ist ein solches Schneekristall, es gibt nicht einmal zwei davon auf der ganzen Erde, die sich vollkommen gleichen. Ein wunderschönes Gebilde, und doch, wie überall in der Natur, es will nicht alleine existieren , es schließt sich zusammen zum größeren Ganzen, es wird zum Schnee.

Die Tendenz zur Verbindung mit anderen zum Größeren ist ein universelles Prinzip.

Wir finden es im Zusammenschluß der Atome zum Element, dann weiter zum Molekül, zur Zelle, zu Zellverbänden , zu Lebewesen und diese schließlich zu Gruppen, Horden und Herden, Familien, Sippen und Gesellschaften.

Erst durch diese Verbindungen entsteht das vielfältige Geflecht von Beziehungen und Abhängigkeiten und ermöglicht die schier unerschöpfliche Kreativität des Lebens.

 

Das Einzelne, das ich in meinen Bildern verwende, erinnert in seiner Grundform an Tropfen, vielleicht auch an Fischkörper oder ähnliches.

In der Berührung untereinander, im Kontakt miteinander, in der teilweisen mal mehr, mal weniger starken Überlagerung und Durchdringung entsteht eine Struktur, die ich im Malprozeß nicht mehr steuern kann, die mit zunehmender Verdichtung des Bildes ihren eigenen Ausdruck findet.

Und hier knüpfe ich an das oben gesagte Prinzip der Natur zur Vereinigung noch einmal an.

Aus dieser einen, völlig reduzierten Grundform ergibt sich eine unglaubliche Vielfalt an Variationen, wenn sie sich aufeinander einlassen wird daraus ein endloses Spiel.

So ist es also ein Plädoyer für die Einsicht, das auch wir Menschen mehr sind als nur das Individuum, auch mehr als unsere Spezies. Wir sind verbunden und vernetzt mit allen Menschen, mit allen Lebewesen, mit dem gesamten Universum, und dürfen diese Tatsache nicht länger missachten. Nur wenn wir uns einfügen und eingebettet fühlen in das Ganze kann sich das unendliche Spiel der kreativen Kraft ungehindert und frei entfalten.

Es geht also nicht um das Verdrängen des Gegenüber, nicht um den Kampf zur Durchsetzung des Eigenen. Lange Zeit wurde Darwins Theorie vom Sieg des Stärkeren über den Schwächeren als die treibende Kraft in der Schöpfung angesehen.

Unbestritten, es ist ein Aspekt des Lebens. Aber wäre es wirklich die treibende Kraft in der Schöpfung, dann hätte bereits ein brutaler Vernichtungskampf stattgefunden, und es wäre bis auf den Stärksten schon längst nichts und niemand mehr übrig geblieben.

 

Schließlich steht also über allem das Verlangen der Natur nach Austausch und Verbindung.

In einem tibetischen Sprichwort heißt es: Wie bewahrst du einen Regentropfen vor dem Austrocknen? Bring ihn zum Meer!

Die Hinwendung zum Anderen, das Abgeben und Einlassen zu Gunsten eines Neuen und Gemeinsamen ist daher das höchste Prinzip und wir nennen es Liebe.

 

 

 

Udo Homeyer